Die erste Biografie von Simon Rosenberger, dem landesweit bekannten Schiedsrichter-Pionier – bis er aus der Geschichte gestrichen wurde.
Simon Rosenberger (1885-1931) war mit Herz und Seele Fußballfan und ein Pionier im deutschen Schiedsrichterwesen der Weimarer Republik. Er war ein Schiedsrichter aus Leib und Seele und setzte sich in den 1920er Jahren für die Popularität des Fußballspiels in Deutschland, gut ausgebildete Schiedsrichter und eine deutschland-weite einheitliche Regelauslegung ein. Denn daran haperte es durch den Fußballboom eklatant.
So, wie er es tat.
Geben wir ihm die Anerkennung und Erinnerung, die ihm gebührt.
Er war zeit seines Lebens eine der bekanntesten Personen im deutschen Fußball und in vielerlei Hinsicht Mann der ersten Stunde.
Im Juli/August 1921 wagte Simon Rosenberger einen beruflichen Sprung ins eiskalte Wasser: Aus dem verbeamteten Buchhalter wurde ein Sportjournalist, der bei einer neuen Fußballzeitschrift den Job als Redakteur übernahm. Walther Bensemann hatte seinen alten Freund überzeugt, ihm beim „Kicker“ zu unterstützen.
Lebenslauf
MÜNCHEN (1885-1921): Aktiver Sportler mit sehr viel theoretischem Wissen und ehrenamtlichen Engagement – auch als Sportjournalist
Mehr lesen
2. Februar 1885: Geburt in München als drittes Kind von Eva und Max Rosenberger
1885-1900: Aktiver Sportler (Eislaufen, Schwimmen, Rudern, Segeln, Skilaufen, Fußball), aber auch sehr gutes theoretisches Wissen und ehrenamtliche Vorstandsarbeit in verschiedenen Vereins- und Verbandsausschüssen
1907: Erstes Kennenlernen mit Walther Bensemann auf dem Verbandstag des Süddeutschen Fußballverbandes in Ludwigshafen
1900er/1910er Jahren: Journalist für Eugen Seybolds Zeitschrift „Der Fußball“
Um 1912: Mitbegründer der bayerischen Schiedsrichter-Vereinigung
1914: Verbeamtung als Buchhalter
1918: Mitbegründer der Münchener Schiedsrichter-Vereinigung mit u.a. Eugen Seybold
Juli 1921: Erstmals Autor eines Artikels im Kicker
KONSTANZ/STUTTGART (1921-1925): Sportjournalist, Bestsellerautor und Koryphäe im Süddeutschen Fußballverband
Mehr lesen
August 1921: Rosenberger wird als Geschäftsführer und Redakteur für Süddeutschland des Kickers willkommen geheißen
1921-1924: Zahlreiche ehrenamtliche Vorstandsarbeit in Stuttgart und im Süddeutschen Fußballverband (SFV), u.a.
- Stenograph des Süddeutschen Fußball-Verbandes
- Vorstandsmitglied in der Stuttgarter Schiedsrichter-Ortsgruppe
- Vorstandsmitglied des SFV-Verbandsschiedsrichterausschusses
- Vorstandsmitglied der SFV-Landesgruppe der deutschen Sportpresse
1923: Die Erstausgabe von „Der Schiedsrichter“ erscheint, die Rosenberger mit Sportjournalist Alwin Hofschneider verfasst hat.
Das Werk wird binnen Wochen zum Bestseller, sodass noch im gleichen Jahr die 8. Auflage des Werkes erscheint. Es ist Bensemann zum 50. Geburtstag gewidmet. Bedingt durch die Inflation kostete das Buch 3000 Mark und damit 3x so viel wie eine Eintrittskarte für ein Spiel des VfB Stuttgart.
1924: Mitbegründer und Beisitzer im Bundesschiedsrichterausschuss des DFB
KÖLN (1925-1931): Sportjournalist, Herausgeber und hervorragender Redner
Mehr lesen
März 1925: Chefredakteur der Zeitung Westdeutscher Sport.
Damit enden seine Ehrenämter in Stuttgart und beim SFV, gleichzeitig beginnt seine Vorstandsarbeit im Schiedsrichterausschuss des Westdeutschen Spielverbandes (WSV)
November 1925: Erneute Angebot an den DFB, eine Schiedsrichterzeitung des Verbandes herauszugeben. Der DFB nimmt nun das Angebot an.
Der Westdeutsche Sport ist zwischenzeitlich Konkurs gegangen.
1926: Die erste Ausgabe der DFB-Schiedsrichter-Zeitung erscheint. Rosenberger verfasst in den ersten Ausgaben sämtliche Beiträge, später ca. 60-80%.
1927: Zahlreiche Vortragsreisen innerhalb Deutschlands zur Regelkunde in seiner Funktion als Beisitzer des Bundesschiedsrichterausschusses
Juli 1931: Ausscheiden aus der Redaktion der DFB-Schiedsrichter-Zeitung, angeblich im Einvernehmen. Doch andere Quellen belegen, dass Rosenberger nicht freiwillig zurücktrat.
7. September 1931: Tod um 3:30 Uhr (Herzversagen, Embolie) zu Hause in Köln.
Zuvor nahm er zwei Tage als Hauptreferent an einer Sitzung des Bundesschiedsrichterausschusses in Frankfurt am Main teil. Es war eine der letzten Sitzungen dieses Ausschusses
9. September 1931: Beisetzung auf dem jüdischen Friedhof in Köln-Bocklemünd
DAMNATIO MEMORIAE (1931ff): Carl Koppehel konnte Simon Rosenberger binnen wenigen Jahren aus der Erinnerung löschen
Mehr lesen
Mitte September 1931: Nachdem Carl Koppehels Deutsche Schiedsrichter-Zeitung und die DFB-Schiedsrichter-Zeitung seit ein paar Monaten vom gleichen Verlag herausgegeben werden, legt er beide Zeitungen nur wenige Tage nach Rosenbergers Tod zusammen und übernimmt die Schriftleitung.
Der Name Rosenberger fällt nicht – nie mehr.
Zwischen 1931 und 1935: Carl Koppehel lässt eine neue Auflage von Rosenberger/Hofschneiders „Der Schiedsrichter“ drucken. Sie wird unter den Autorennamen Koppehel/Hofschneider erscheinen. Nicht nur in der NS-Zeit, sondern auch in Jahrzehnten der Nachkriegszeit.
Auch hier wird der Name Rosenberger nicht mehr erwähnt, sondern gestrichen.
1930er-1960er Jahre: Koppehel verfasst als DFB-Presseleiter und -Historiograf zahlreiche Geschichtsbände, insbesondere über das Schiedsrichterwesen.
In keinem Rückblick wird Simon Rosenberger erwähnt. Nicht nur in Bezug auf den Kicker oder die DFB-Schiedsrichter-Zeitung. Auch als Beisitzer des Bundesschiedsrichterausschusses (1924-1931) werden nur seine Kollegen, nicht aber er genannt.
•
„Infolge nicht ausrottbarer Korpulenz brachte ich es in der Aktivität niemals zu besonderen Leistungen (bis auf das Dauerschwimmen, aber das fiel mir nach dem archimedischen Prinzip nicht schwer). Dagegen konnte ich in allen Sportarten sehr bald theoretisch mitsprechen und -schreiben, aus welchem Grunde ich seit meinem 15. Lebensjahre in Vereins- und Verbandsausschüssen ‚mein Licht leuchten lassen konnte‘.“
– So erzählte Simon Rosenberger über sich und seine bisherige Entwicklung als Sportler.
Jetzt bestellen
Gerne bei Autorenwelt – es kostet euch keinen Cent mehr, aber ich bekomme zu den 7% vom Verlag zusätzlich noch 62 Cent als Honorar.
„Gerade dieses Bild des immer Unermüdlichen wird wohl nachhaltender als alle anderen in unserem Gedächtnis haften bleiben“
Als er mit 46 Jahren für viele überraschend starb, waren sich alle bekannten deutschen Fußballstars in ihren Nachrufen sicher, dass Simon Rosenberger für immer im Fußball in Erinnerung bleiben würde.
Die Nachrufe sind die fast die einzigen Quellen, um zu erfahren, wie beliebt und geachtet Rosenberger war: Freundlich, humorvoll, fair, idealistisch, hilfsbereit, tiefgründig, analytisch war er. Ein Kosmopolit, der überall beliebt war, viele Freunde hatte und sich selbst nicht zu ernst nahm. Besonders hervorgehoben wurden seine Kenntnis und sein Können, wenn es um die Regeln und ihre Auslegung ging: Er war ein glänzender, ausgezeichneter, fesselnder Redner, der es wie kein anderer verstand, den Zuhörende den Sinn und Geist der Regeln zu erläutern.
Von Walther Bensemann
Lang und eindringlich ist der im Kicker abgedruckte Nachruf von Freund und Kollege Walther Bensemann:
Die Trauerkunde vom Hinscheiden unseres früheren Redakteurs, Simon Rosenberger, haben wir unseren Leser in der Ausgabe vom 8. September noch vermittelt.
Mit Simon Rosenberger verlor unsre Bewegung, namentlich die Sache der Schiedsrichter, einen der fähigsten Köpfe. Der älteren Generation auf dem Rasen ein wohlbekannter Spielleiter, am Debattentisch ein freundlicher und guter Sportkamerad, war er den Jüngeren als der Herausgeber der DFB-Schiedsrichterzeitung auch kein Unbekannter mehr. Wer erinnert sich nicht des immer liebenswürdigen Mitarbeiters am Vorstandstisch unserer Verbandstage?
Seine große Befähigung, als gewandter Stenograph verworrene Fäden der heißblütigsten Redner entwirren zu können, führte ihn auf den gewiß nicht leichten Posten eines Verbandstagsstenographen und gerade dieses Bild des immer Unermüdlichen wird wohl nachhaltender als alle anderen in unserem Gedächtnis haften bleiben – es war das letzte.
Wir schulden dem guten Rosenberger einiges. Hatte er sich doch gänzlich dem Sport verschrieben, hatte mitgeholfen an dessen Ausbau und teilgenommen an der Freude des Gelingens.
Wir schulden ihm mehr als ein gutes Gedächtnis!
Simon Rosenberger starb in bitterer Not, als einer der vielen Enttäuschten von der traurigen Gegenwart. Zwei Kinder beweinen ihren dahingegangenen, sorgenden Vater, eine Gattin, stets bestrebt ihrem Mann des Lebens Bürde erleichtern, steht vor dem Nichts.
Sollten wir nicht alle die wir den guten Simerl lange gekannt und geschätzt haben, ein wenig daran mithelfen, eine kleine Dankesschuld an der richtigen Stelle abzutragen?
Quelle: „Bürochef“ [Walther Bensemann]: Personalnotizen. In: Der Kicker, Nr. 39 (22.09.1931). S. 1513.
Der Nachruf ist wie eine letzte, seufzende Verbeugung und zeugt deutlich von der Wertschätzung, die Bensemann Rosenberger zeit dessen Lebens und danach entgegenbrachte. Er zeugt aber auch von Rosenbergers wirtschaftlichen und finanziellen Problemen, eine Folge der Weltwirtschaftskrise.
Und nicht mal ein Gedächtnis wurde ihm zuteil. Die Erinnerung an das Erbe Simon Rosenbergers, das man so sicher geglaubt hat, wurde begraben, verbrannt, ausradiert.
Aber es ist nicht verloren.
Was nicht ist, kann ja (wieder) werden …
♥️🤝 Unterstützen?
Das ist via Paypal.me und Ko-Fi problemlos möglich. Vielen Dank!
📹👩💻 Hilfe, Support, Vorträge
Du bist Teil einer Schiedsrichter*innen-Vereinigung und hättest gerne, dass deine Kolleg*innen mehr über die Regelgeschichte erfahren? Melde dich gerne, denn ich biete auch Vorträge und kurze Workshops an. Hier findest du alle Kontaktmöglichkeiten.