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Schiedsrichterinnen bei der Weltmeisterschaft 2022

Wandel und Akzeptanz brauchen Beständigkeit. Ein Longread, nicht nur über Schiedsrichterinnen bei der Weltmeisterschaft 2022.

Im Fußball ist es eine Hecke, die schon häufiger entzweit und dann doch wieder zugewuchert ist – und das nicht erst seit wenigen Jahren, sondern seit einem knappen Jahrhundert.

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Ja, seit bald 100 Jahren gibt es Frauen im Männerfußball und dass auf dem Feld als Spieloffizielle – Schiedsrichterin und Schiedsrichterassistentin. Anfangs nur wenige, seit gut 30 Jahren aber immer mal wieder im höchsten Männerfußball – sei es in der höchsten Liga eines Landes oder im internationalen Fußball.

Nun waren sie an höchster Stelle: Der Weltmeisterschaft im Männerfußball. Die Französin Stéphanie Frappart war die erste Schiedsrichterin, die Frau in der Mitte (1. Dezember 2022). Die US-Amerikanerin und Schiedsrichterassistentin Kathryn Nesbitt war die erste Frau, die bei dem Finale einer Männer-Weltmeisterschaft teilnahm (als Reserve-Schiedsrichterassistentin) (18. Dezember 2022).

Bei den Qualifikationsspielen zu dieser Weltmeisterschaft waren es übrigens unter anderem Stéphanie Frappart und Karen Díaz Medina, die Geschichte schrieben: Während Frappart die allererste Schiedsrichterin war, die für ein Qualifikationsspiel am 27. März 2021 nominiert wurde, waren es die beiden Mexikanerinnen Karen Díaz Medina und Francia González, die als Schiedsrichterassistentinnen und als allererste Frauen überhaupt bereits am 24. März 2021 für (zwei unterschiedliche) Spiele eingesetzt wurden.

Ab durch die Hecke

Erstmals Schiedsrichterinnen bei einer Weltmeisterschaft. War das der Durchbruch?

Das kann jetzt noch niemand beantworten, denn wichtig ist: Die Beständigkeit, mit der Frauen durch die Hecke hinaustreten. Sie gehen die ersten Schritte – die Hecke einzutreten sind sehr schwere Schritte. Doch ist der Platz gemacht, können die nächsten Frauen weitergehen. Sie können wortwörtlich in ihre Fußstapfen ihrer Vorgängerinnen treten und vorangehen und damit den Weg weiter für ihre Nachfolgerinnen öffnen.

Aber genau das passiert in den letzten 30 Jahren sogar auf höchstem Niveau – und doch viel zu selten: Es gibt zu viele Eintagsfliegen, zu viele Feigenblätter. Und bis die nächste Frau nominiert wird, ist die Hecke und sind die Fußstampfen schon wieder etwas zugewuchert.

Das System nährt sich selbst

Das ist der Grund, weshalb Frauen seit 30 Jahren immer wieder Geschichte schreiben und warum es immer noch eine Besonderheit ist, dass eine Frau im Männerfußball zu sehen ist.

Ich kann mich nur wiederholen: Mir wäre es sehr lieb, wenn dieses Geschichte-Schreiben endlich Geschichte werden würde. Wenn ich nicht gefühlt die einzige Person wäre, die wieder und wieder die Namen und ihre Errungenschaften ins Internet schreibt, damit die Informationen auffindbar sind.

Aber ich befürchte, dass es noch einige Zeit so weitergehen wird. Der Fußball, nein, der Männerfußball ist ein konservativer Sport. Er nährt Nostalgie. Es ist einerseits sehr wholesome, sich an die Zeit der eigenen Fußballsozialisierung zu erinnern (Ihr wisst schon… Damals! Als “der Fußball” noch nicht so schlimm wie heute war! – Denkste). Aber es verhindert auch, dass er mit der Zeit gehen kann.

Die Schiedsrichterinnen bei der Weltmeisterschaft 2022

Neuza Back, Karen Díaz Medina, Stéphanie Frappart, Salima Mukansanga, Kathryn Nesbitt und Yoshimi Yamashita

Im Vorfeld der Weltmeisterschaft habe ich Artikel veröffentlicht, nämlich einen allgemeinen Blick auf die sechs Frauen auf Deutsch im Rahmen der FRÜF-Kolumne bei WebDE und auf Englisch und etwas ausführlicher mit Ausbildung und Motivation auf Law5 – The Ref. Letzteres war ein Fehler, denn die leider völlig unmoderierten Kommentare unter dem Beitrag lassen mich nur kopfschüttelnd zurück. Content Warning für die dortige Kommentarspalte: Mensplaining, bisweilen Misogynie. Ein bisschen Alltag, leider, aber dafür mit vielen hilfreichen Nachrichten von Menschen, die entsetzt die Kommentare gelesen haben.

Bei Law5 – The Ref ist in einem anderen Beitrag auch mein Exklusivinterview mit der WM-Schiedsrichterin Salima Mukansanga erschienen. Für eine Veröffentlichung in der DFB-Schiedsrichterzeitung kam die Antwort der Schiedsrichterin leider erst nach Redaktionsschluss.

Zunächst: Zu den Spielen und der Spielleitung kann ich nichts sagen. Nicht nur, weil ich keine Schiedsrichterin bin, sondern weil ich mich bewusst entschieden, kein Spiel dieses Wettbewerbs zu schauen.

Auf Twitter, Mastodon und LinkedIn habe ich an den jeweiligen Tagen auf die Einsätze der Schiedsrichterinnen bei der Weltmeisterschaft hingewiesen. Die müsst ihr dort nicht nachlesen, denn ich poste sie hier zusammenhängend, aber gleichzeitig versteckt. Einerseits habt ihr sie vielleicht schon gelesen, andererseits würden sie diesen Artikel noch länger machen als er ohnehin schon werden wird.

Neuza Back

Für Infos aufklappen

Karen Díaz Medina

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Stéphanie Frappart

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Salima Mukansanga

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Kathryn Nesbitt

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Yoshimi Yamashita

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Die ersten Einsätze von Frauen bei einer Männer-Weltmeisterschaft – Etwas Statistik

Die folgenden beiden Grafiken zeigen die Einsätze der sechs Schiedsrichterinnen bei der Weltmeisterschaft 2022:

Schiedsrichterinnen bei der Weltmeisterschaft 2022 und ihre Einsätze - Stéphanie Frappart: Group Stage: 1x Referee, 2x 4th Official. Knockout Stage: was not appointed due to the success of the French team. Salima Mukansanga: Group Stage: 3x 4th Official. Knockout Stage: no participation. Yoshimi Yamashita: Group Stage 6x 4th Official. Knockout Stage: no participation.

Schiedsrichterinnen bei der Weltmeisterschaft 2022 und ihre Einsätze

Die Schiedsrichterassistentinnen bei der Weltmeisterschaft 2022 und ihre Einsätze - Kathryn Nesbitt: Group Stage: 1x Res.-Assistant Ref, 5x Offside VAR, 1x Supportive AVAR. Knockout Stage: 1x Assistant Referee, 1x Res.-Assistant Ref, 2x Offside VAR. - Neuza Back: Group Stage: 1x Assistant Referee, 5x Res.-Assistant Ref, 1x Offside VAR. Knockout Stage: 1x Res.-Assistant Ref, 3x Offside VAR. - Karen Díaz Medina: Group Stage: 1x Assistant Referee, 4x Res.-Assistant Ref. Knockout Stage: no participation.

Die Schiedsrichterassistentinnen bei der Weltmeisterschaft 2022 und ihre Einsätze

  • Als Schiedsrichterin wurde einmalig Stéphanie Frappart eingesetzt. Sie hätte wohl auch noch mal in den K.o.-Spielen eingesetzt werden sollen, was aber durch Frankreichs erfolgreiches Weiterkommen nicht umgesetzt wurde.
  • Alle drei Schiedsrichterassistentinnen wurden je einmal als solche an der Seitenlinie eingesetzt.
  • Die drei Schiedsrichterinnen wurden bei der Weltmeisterschaft in der Gruppenphase insgesamt zehn Mal als 4. Offizielle eingesetzt, davon Yoshimi Yamashita alleine sechs Mal.
  • Die drei Schiedsrichterassistentinnen wurden häufiger als Reserve-Schiedsrichterassistentin oder im Video Assistant Center (VAC) als Offside VAR oder Supportive AVAR eingesetzt.

Einsätze in Gruppen- und K.o.-Phase

In 48 Spielen der Gruppenphase gab es:

  • 1x eine Schiedsrichterin
  • 2x eine Schiedsrichterassistentin
  • 10x eine Vierte Offizielle
  • 10x eine Reserve-Assistentin
  • 6x eine Offside VAR und
  • 1x eine Supportive AVAR

In 16 Spielen der K.-o.-Phase gab es:

  • 1x eine Schiedsrichterassistentin
  • 2x eine Reserve-Assistentin und
  • 5x eine Offside VAR

Einsätze pro Spieloffizielle

  • Stéphanie Frappart: 3, alle in der Gruppenphase
  • Salima Mukansanga 2, alle in der Gruppenphase
  • Yoshimi Yamashita: 6, alle in der Gruppenphase
  • Kathryn Nesbitt: 11, davon 7 in der Gruppenphase
  • Neuza Back: 11, davon 7 in der Gruppenphase
  • Karen Díaz Medina: 5, alle in der Gruppenphase

Einsatz-Schwerpunkte

  • Yamashita wurde sechs Mal als Vierte Offizielle eingesetzt – 100% ihrer Einsätze
  • Nesbitt wurde sieben Mal im VAC als Offside VAR eingesetzt – ~64% ihrer Einsätze
  • Back wurde fünf Mal als Reserve-Assistentin (~45% ihrer Einsätze) und vier Mal im VAC als Offside VAR (~36% ihrer Einsätze) eingesetzt

Support statt Fürsorge

Bei AZ Online erschien ein Artikel mit der Überschrift “Warum die Ansetzung von Stéphanie Frappart im Deutschland-Spiel unverantwortlich war”. Entgegen meiner Befürchtung war es kein misogynes Bashing über Frapparts Leistung beim Spiel zwischen Costa Rica und Deutschland, das auch völlig unnötig gewesen wäre.

Stattdessen ist es ein gewisse Art der Fürsorge für Frappart: Was habe sich Collina nur dabei gedacht bei so einem entscheidenden Spiel erstmals eine Frau zusetzen? Er habe mit dem Feuer gespielt, denn wie groß wäre das Geschrei gewesen, hätte sie Fehler gemacht – dann hätte er den Kritikern von Frauen im Männerfußball einen Bärendienst erwiesen.

So gut die Intention des Artikels gemeint ist: Solch große Fürsorge braucht es nicht. Das schreibe ich nicht, weil es sich im Nachhinein immer leichter beurteilen und Frapparts Spielleitung bemerkenswert erfahren und souverän war. Nein, ihr Auftritt war erfahren und souverän, weil sie es ist. Und es wäre völlig egal gewesen, ob das erste Spiel mit einer Schiedsrichterin nun ein umkämpftes ist oder nicht.

Es braucht keine Sorge für, sondern Unterstützung für Frauen im Fußball. Auch, und gerade wenn es dann doch mal nicht optimal läuft.

Und das galt nicht nur für die Schiedsrichterinnen bei der Weltmeisterschaft.

Geht es um Diversität im Fußball, folgt oft das Gekeife, es solle um Kompetenz statt Quote gehen soll.

Dabei übersieht man jedoch, dass frau ohne Kompetenz es gar nicht so weit geschafft hätte, dass man sie wahrnimmt. Und sie hat nicht nur schon Kompetenz bewiesen, sondern auch die Stärke und den Willen, seinen misogynen Wind aushalten zu wollen.

Man will noch bessere Kompetenz? Sehr gerne. Dann macht etwas dafür, dass für alle Geschlechter die gleichen Arbeitsbedingungen herrschen und damit Frauen überhaupt die Chance bekommen, sich genauso zu entwickeln wie Männer. Damit überhaupt eine Vergleichbarkeit herrscht.

Der Löwe hat gut Lachen über die Maus, aber er sollte ihre speziellen Fähigkeiten nicht unterschätzen. Aber es wäre nicht das erste Mal, wenn ich an die Geschichte von Frauen im Fußball vor 50 Jahren denke. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich ab und zu.

Schiedsrichterinnen bei der Weltmeisterschaft: Der Anfang vom Anfang?

Geschichte wurde geschrieben und ich bin immer noch sehr froh darüber, dass es ein Spiel mit einem all-female team gab. Das Bild ist nun der Welt. Es ist passiert. Und Frapparts Trikot kommt nach Zürich ins FIFA Museum.

Schade nur, dass es einmalig war und so wenig sichtbar passiert ist. Damit meine ich: Frauen als Teil des vierköpfigen Schiri-Gespanns, das auf den Platz einläuft und von den Kameras eingefangen wird.

Schön, dass mit Kathryn Nesbitt eine Frau beim Weltmeisterschaftsfinale außerhalb des VAC dabei war, aber schade, dass sie nur Reserve-Assistentin war.

Es hat wieder etwas von “Es ist ja gut gemeint, aber…” wirklich auch gut gemacht? Und ich bin mir selbst nicht sicher, ob ich hoffnungsvoll sein soll oder enttäuscht.

Wie ich schon oben schrieb: Das werden die nächsten FIFA-Wettbewerbe zeigen, wie ernsthaft Pierluigi Collina seine Worte über Schiedsrichterinnen bei einer Weltmeisterschaft meinte.

„I would hope that in the future, the selection of elite women’s match officials for important men’s competitions will be preceived as something normal and no longer as sensational.“

La prendo in parola, Signore Collina, ich nehme Sie beim Wort.

Lese mehr auf Nachspielzeiten.de über Schiedsrichterinnen im Männerfußball.

 

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