Ich stelle mir immer vor, dass Simon Rosenberger an diesem Tag an seinem Schreibtisch in der Kickerredaktion sah und einen Anruf oder ein Telegramm erhielt. Er riss kurz die Augen auf, vielleicht auch den Mund, und verfiel dann in ein kopfschüttelndes Lachen.
Die Emotionen, die er dabei spürte, packte er in einen sehr zynischen Artikel gegen die Stadt Stuttgart, der am 10. April 1922 im Kicker erschien. (CW: Physische Gewalt als Metaphorik.)
Was war vorgefallen?
An einem evangelischen Feiertag sollte ein Fußballspiel zwischen einem Auswahlteam des Kreises Württemberg gegen eine Auswahl des Nordmainkreises in Stuttgart stattfinden. Die Veranstaltung wurde wochenlang beworben und nur einen Tag vor dem Spiel seitens der Stadtverwaltung Stuttgart verboten. Das Spiel wurde aber trotzdem durchgeführt – sei es aus Trotz, um nicht auf den Unkosten sitzen zu bleiben oder aus Unkenntnis. Das ist mir nicht bekannt.
Lest den Artikel. Viel Spaß beim Schmunzeln.
Ein Schwabenstreich
Wer lacht da? Bitte, das ist kein Aprilscherz! Das ‚Urteil‘ trägt den[!] Datum des 4. und nicht das des 1. April!
Das ‚corpus delicti‘ war das Auswahlspiel des Kreises Württemberg für das Spiel gegen den Nordmainkreis. Bestraft wurden der ‚verantwortliche Spielleiter‘ = Herr Knabe, dem als Vorsitzenden des Gaues Stuttgart die Durchführung des Auswahlspielers von der Kreisbehörde übertragen worden war. M. E. ist es mehr als zweifelhaft, ob Herr Knabe hier im dem Sinne ‚verantwortlich‘ zeichnet, dass er passiv legitimiert erscheint. […]
23 Leute haben also dadurch, dass sie sich am evangelischen Landesbusstag in Gottes freier Natur auf dem Rasen tummelten, und ein Mann dadurch, dass er dies duldete, die Feier des Sonn- und Festtages gestört? Wo ist der Mann, der pflichtschuldigst daran Ärgernis nahm? Her mit ihm, dass wir ihn aushauen können – in Stein und Erz natürlich! […]
Bedarf es weiterer Gegenüberstellungen, um die Unsinnigkeit der Behauptung von einer Störung der Feier des Sonntages durch die 24 Bestraften hervorzuheben?
Die angezogene Bestimmung ist eine K.[aiserliche] Verordnung aus dem Jahre 1871, also heute über 50 Jahre alt – ein ehrwürdiges Alter!!
Es wird angeführt, dass das Verbot der Abhaltung des Spieles am Tag vorher mitgeteilt werden sei. Schon? Haben die Herren nicht früher von dem Spiel erfahren? Wochenlang vorher war in den Zeitungen vin der Aufstellung und dem Termin die Rede.
Wer kann aber verlangen, dass dies dem Herrn Referenten bekannt ist? Die Stadt Stuttgart hat ja keinen Sportreferenten! Oder doch? Wo ist er dann? Wie konnte es dann kommen, dass ein solches Urteil erging, das geeignet ist, die verfügende Stelle der Stuttgarter Stadtdirektion in der ganzen Welt der Lächerlichkeit preiszugeben? […] ‚Will das Gräflein ein Tänzchen wagen, / Soll er’s nur sagen; ich spiele ihm auf.‘.
(Quelle: Rosenberger, Simon: Ein Schwabenstreich. In: Kicker 15 (10.04.1922). S. 419.)
•
Zurück zur Übersicht „Noch mehr über Simon Rosenberger“
Zurück zum gesamten Angebot zu „Simon Rosenberger, der vergessene Fußballpionier“