Mit seinem im letzten Jahr erschienen Buch „England’s Oldest Football Clubs“ hat Martin Westby eine sehr umfangreiche Quellensammlung geschaffen, die nicht nur die verschiedenen Clubs in der frühen Phase des Fußballs beschreibt, sondern auch die Regeln an einigen Stellen.
Ich habe sie mir gekauft und gelesen – und denke, die Anzahl meiner Markierungen (nur Stellen über Fußballregeln) sprechen für sich.
Quellensammlung auf Basis der Football Annual 1868-1908
In der Einführung seines Buches erzählt Martin, wie alles begann: 2014 kam das Buch „Football Annual“ in seine Hände, das für die vier Dekaden 1868-1908 jedes Jahr alle Clubs. Jährlich meldeten die secretaries (entspricht etwa den Schriftführer des deutschen Vereinswesens) unter anderem die Verantwortlichen des Clubs, das Gründungsdatum und die Spielart (Rugby, Association oder anderes).
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Association Football, wörtlich Verbandsfußball, entspricht dem deutschen Begriff Fußball. Gerade in der hier beschriebenen Zeitspanne gibt es noch viele Mischarten zwischen dem, was wir als Rugby und Fußball bezeichnen. Daher gebe ich hier zur eindeutigen Bezeichnung häufig den englischen Begriff an.
Aus den vier Jahrzehnten des Football Annual entstand eine Datenbank mit 297 Rugby-Clubs, 770 Association-Clubs und zahlreichen Fußballclubs von u.a. Schul- und Militärorganisationen (die häufig nach ganz eigenen Regeln spielten). Auf dieser Quellensammlung basiert das 620-seitige Buch (in der Printausgabe), deren Angaben mit Hilfe des British Newspaper Archive gegengeprüft wurden.
Gliederung
Nach den einleitenden Worten über seine Quelle und Methodik folgt ein Überblick über die Fußballregeln („The Search for Association Rules 1500 – 1886“, „A chronological history of Football Rules and Laws“).
Im Hauptteil des Buches handelt von der Geschichte verschiedener Institutionen und Gruppen, die Fußball spielten: Schulen und Hochschulen (1815-1888, Kapitel 2), Militär (1844-1888, Kapitel 3), English County Football (1867-1888, Kapitel 5) sowie auch Rugby (1839-1888, Kapitel 4). Daran schließt eine chronologische Klassifikation der Fußballvereine (1857-1889) und Detaildarstellungen einiger bekannter englischer Vereine.
Nach einer kurzen Zusammenfassung schließt das Buch mit dem umfangreichen Verzeichnis der Quellen.
Die Geschichte der Regelwerken
Der für Nachspielzeiten interessanteste Part ist sicherlich Kapitel 1 mit den beiden Teilen „The Search for Association Rules 1500 – 1886“ und „A chronological history of Football Rules and Laws“. Aber auch in den darauffolgenden Kapiteln wird immer wieder Bezug zu den Regeln genommen. Auch durch die zahlreichen abgedruckten Zeitungsartikel werden die Regeln indirekten thematisiert, weil das jeweilige Spiel beschrieben wird. Es geht um die Regelwerke der public school, der Cambridge University und der (London) FA. Die Sheffield FA wird gestreift, da Martin seine Ergebnisse bereits zuvor in seinem Buch „A History of Sheffield Football 1857-1889. Speed, Science, Bottom.“ veröffentlicht hat.
Eine schöne Übersicht zeigt eine auf den Seite 92-93 zitierte Quelle (Pall Mall Gazette, 1866[!]): Die Gemeinsamkeiten der Fußballspielarten der public schools:
Es gab viele Unterschiede bei den Regelwerken der public schools, aber dennoch auch Gemeinsamkeiten, die über das Offensichtliche (ein Ball wird mit dem Fuß gespielt) hinaus gehen
- es gibt ein Spielfeld, dass durch Markierungen oder einen Zaun begrenzt wird
- Ziel („goal“) ist es, Ball durch ein gegnerisches Tor zu schießen
- Ein Ball ist aus dem Spiel, wenn er aus dem Spielfeld geht, aber nicht durch das Tor
- eine Abseits-Regelung
Die Unterschiede betrafen
- die Tormaße: meist zwei Pfosten mittig auf der kurzen Seite (in Winchester ohne Begrenzung), mal ohne, mal mit Latte
- Torerzielung: wenn es eine Latte gab, musste der Ball je nach Regelwerk über oder unter dieser ins Toraus gehen
- Ballmaße: je nach Spielweise und Feldbeschaffenheit variierten die Ballmaße deutlich, ebenso auch die Ballform (Rugbyball)
- Anzahl der Spieler: auch diese unterschied zwischen teils deutlich (10 bis open end), meistens aber zwischen zehn und 20 pro Team
- Spielbeginn: meistens per Anstoß vom Mittelpunkt, manchmal aber auch durch ein Gedränge
- Handspiel: die Mehrheit der Regelwerke erlaubte außer dem Fair Catch kein Handspiel
Hacking: an den meisten public schools tabu
Dauer: von wenigen Minuten bis zu mehreren Tagen
Denn 1863 war nicht plötzlich das Fußballspiel geboren, dass wir heute als solches bezeichnen. Auch nicht für die Mitgliedclubs der (London) FA. Denn noch bis 1871 war das Handspiel in Form des Fair Catch erlaubt, es gab eine Saison den Touchdown, um unentschiedene Spiele zu entscheiden und bis 1866 das Abseits des Harrow Game. Durch dieses war jeder zwischen Ball und gegnerischem Tor im abseits, sodass nur das dribbling game möglich war.
Ab der 1880er Jahre ist das Fußballspiel größtenteils unser Fußballspiel, wobei Strafstoß und das Spieloffiziellen-Gespann erst 1891 dazukommen, fast alle heutigen Spielfeldmarkierungen 1902. Aber bis in die 1880er Jahre orientierten sich die meisten Regelwerke entweder an den Association- oder den Rugby-typischen Regeln sowie die ländertypischen Varianten wie Ireland Gaelic Football, Australian Football oder American Football.
Ein Fazit
Martin Westbys Buch ist eine Goldgrube für jeden, der sich für die Zeit interessiert, in der sich das Association-Spiel aus einem Mix von public-school-Regelwerken zu dem entwickelt hat, was wir heute als Fußballspiel kennen. Die Evolution des Fußballspiels. Eine Dokumentation, die nicht nur auf den Football Annuals basiert, sondern auch zahlreiche Zeitungsartikel abbildet. So detailliert, wie ich es von keinem anderen Buch kenne. Brilliant!
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Leider starb Martin Westby im September 2020 nach einer schweren Krankheit. Rest in peace.
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