Regelgeschichte
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Fußballregeln 2022/2023 und ihre historische Entwicklung

Das IFAB hat die vermutlichen Regeländerungen der Fußballregeln 2022/2023 bekanntgegeben, die aber noch von dem General Assembly bestätigt werden müssen. Deren ursprünglich für Anfang März geplante Treffen wurde wegen dem Krieg in der Ukraine auf unbestimmte Zeit verschoben. Veröffentlicht wurden nun die Änderungsvorschläge des ABM (ein Treffen mit allen Secretaries der fünf Verbände). Diese werden höchstwahrscheinlich auch die nötige Mehrheit erhalten.

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Stichtag für die Fußballregeln 2022/2023 ist der 1. Juli 2022, aber zuvor schon laufende Wettbewerbe werden noch nach den Regeln 2021/22 weitergespielt.

Bei der Generalversammlung werden die Regeländerungen diskutiert und eingereichte Vorschläge bei Dreiviertelmehrheit beschlossen. Entscheider sind je einen Vertreter der vier britischen Fußballverbände (England, Nordirland, Schottland, Wales) sowie vier der FIFA (die en bloc abstimmen müssen). Der Vorsitz wechselt unter den fünf Verbänden jährlich und normalerweise damit auch der Ort. 2022 fand die AGM in Doha unter Vorsitz der FIFA statt.
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Die Agenda der AGM für die Fußballregeln 2022/2023

Die Änderungen betrafen die dauerhafte Erhöhung der Auswechslungen auf 5 pro Team in der regulären Spielzeit und ein paar Klarstellungen zu den Regeln 8, 10, 12 und 14. Eine Übersicht samt einer Erwähnung und Verlinkung findet ihr auch von Chaled Nahar auf Sportschau.de – danke, lieber Chaled!

In der Agenda für die AGM soll auch über eine Änderung der Abseitsregel diskutiert und erste Erkenntnisse der laufenden Experimente mit der halb-automatisierten Abseitserkennung (SAOT) und des Concussion protocol präsentiert werden. Ebenso auch eine kostengünstigere Version des VAR. Auch auf diese Regelbereiche werde ich schon eingehen. Ergebnisse der  Diskussion werden dann ergänzt.

Mehr zur Entwicklung der Fußballregeln und der Fußballregelwerke sowie die Chronologie jeder Regeländerung seit dem frühen 19. Jahrhundert.

Regel 3: Auswechslungen

Die zunächst nur temporär eingeführten fünf Auswechslungen während der regulären Spielzeit werden dauerhaft in die Fußballregeln aufgenommen. Die Extra-Auswechslung in der Verlängerung bleibt außerdem bestehen.

Die historische Entwicklung der Auswechslungen

Zu der Geschichte der Auswechslungen habe ich sehr ausführlich recherchiert, weil die Quellenlage uneindeutig war. Bei manchem musste ich gut überprüfen, ob es wirklich stimmt oder doch nicht. Ergebnis ist ein Longread mit einem dr;tl (don‘t read, too long). Letzteres sei hier wiedergegeben.

  • 19. Jahrhundert: Es gab keine Auswechslungen im modernen Sinne, sondern im gegenseitigen Einvernehmen die Möglichkeit, zu spät erscheinende Spieler durch einen anderen zu ersetzen.
  • 1923: Auswechslungen sind nur bei Freundschaftsspielen und im Falle einer schweren Verletzung und nur nach vorheriger Absprache zwischen den beiden Mannschaften möglich. Die Schiedsrichterin bzw. der Schiedsrichter muss ebenfalls über die Vereinbarung informiert werden, ebenso die Auswechslung während des Spiels.
  • 1930er Jahre: In Kontinentaleuropa ist es in einigen Ländern zu einer Art Gewohnheitsrecht geworden, Auswechslungen über die Regelung von 1923 hinaus zuzulassen. Die vier britischen Verbände tolerieren ab 1931 inoffiziell die lockere Haltung der FIFA.
  • 1951-1954: Es gibt Experimente mit Auswechslungen von verletzten Spieler*innen bei Wettkampfspielen. Die Experimente fanden bei einem internationalen Jugendturnier der FIFA, bei der WM-Qualifikation 1953 und bei der Weltmeisterschaft 1954 statt.
  • 1957: Das IFAB erlaubt den Nationalverbänden, bei Wettkampfspielen Auswechslungen von verletzten Spieler*innen zuzulassen.
  • 1965: In England können pro Spiel bis zu zwei Spieler*innen pro Mannschaft unabhängig von Verletzungen ausgewechselt werden. Ab der Saison 1966/67 auch in Schottland.
  • 1967: Das IFAB gewährte den Nationalverbänden die Möglichkeit, pro Spiel bis zu zwei Spieler*innen pro Mannschaft unabhängig von Verletzungen auszutauschen.
  • 1994: Einführung der 2+1-Regel: Zwei Feldspieler*innen und eine Torhüterin bzw. ein Torhüter dürfen ausgewechselt werden.
  • 1995: Bis zu drei Ersetzungen, unabhängig von der Position, sind erlaubt.
  • 2015: Die Nationalverbände können im Freizeit- und Amateurfussball einen fliegenden Wechsel (return substitution) erlauben.
  • 2018: Nach zwei Jahren als globales Experiment wird die vierte Auswechslung während der Verlängerung offiziell eingeführt.
  • 2020: Bis Ende Dezember 2022 können die Nationalverbände bis zu fünf Auswechslungen ab dem späten Frühjahr zulassen, d.h. die Wiederaufnahme nach der Saisonunterbrechung von Covid-19. Diese müssen in maximal drei Spielunterbrechungen (ohne Halbzeitpause) erfolgen.
  • 2022: Die fünf Auswechslungen werden fest in das Regelwerk aufgenommen. Die vorherige zeitliche Begrenzung auf die Zeit der COVID-19-Pandemie entfällt.

Ein paar Klarstellungen („clarifications“)

Regel 8: Der Münzwurf

the referee tosses a coin and; the team that wins the toss of a coin; decides…

Durch die Ergänzung wird verdeutlicht, dass der Münzwurf in der Verantwortlichkeit der Schiedsrichterin oder des Schiedsrichters liegt.

Die historische Entwicklung des Münzwurfs

Der Münzwurf wurde gut 100 Jahre in zwei Fällen verwendet: Zu Spielbeginn und nach einem unentschiedenen Spielende, wenn ein siegendes Team ermittelt werden musste.

Der Münzwurf zu Spielbeginn

… findet sich in den Regeln der Harrow School von 1858 und ebenso den Regeln des Sheffield FC von 1862 und der Cambridge University von 1863. In allen Fällen wurde mit dem Münzwurf entschieden, welches Team den Anstoß zum Spiel hat.

Auch in den Regeln der Sheffield FA und London FA findet er sich von Beginn an (1863 bzw. 1867) und bestimmte das Team, das den Anstoß ausführte.

  • bis 1873 (London FA) bzw. 1877 (Sheffield FA): Sieger des Münzwurfs hat Anstoß
  • 1873-1997: Sieger des Münzwurfs hat Wahl zwischen Anstoß oder Seitenwahl
  • 1997-2019: Sieger des Münzwurfs hat (nur noch) Seitenwahl
  • seit 2019: Sieger des Münzwurfs hat Wahl zwischen Anstoß oder Seitenwahl

Der Münzwurf zur Siegerermittlung

… war für lange Zeit die gebräuchliche Methode, um einen Gewinner festzulegen, wenn ein Entscheidungsspiel unentschieden endete. Es wurde in zahlreichen Regeln von public schools aufgeführt, von Beginn an in den FA Rules (Ausnahme: 1866/67), in den Sheffield FA Rules ab 1871 und in den Laws of the Game von The IFAB von 1886 bis 1970. Bei Letzteren wurde der Münzwurf seit 1898 nur angewandt, wenn das Spiel auch nach der Verlängerung unentschieden war.

1970 wurden das Elfmeterschießen („kicks from penalty mark“) eingeführt, zwischendurch auch weitere Möglichkeiten wie Golden Goal, Silver Goal… das könnt ihr hier ausführlicher nachlesen: Unentschieden? Wie man das siegende Team bestimmt(e) 

 

Regel 10: Elfmeterschießen

A player, substitute, or; substituted player or team official; may be cautioned to sent off

Die Ergänzung bestätigt, dass auch Teamoffizielle während des Elfmeterschießens verwarnt oder des Platzes verwiesen werden können.

Die historische Entwicklung der Karten für Teamoffizielle

Daran könnt ihr euch sicher noch erinnern: Nach einem Experiment wurde zur Saison 2019/20 eingeführt, dass auch Teamoffiziellen die gelbe und rote Karte gezeigt wird. Das dient schlicht der Eindeutigkeit, ob sie verwarnt oder des Feldes verwiesen werden.

Mehr zur Einführung der Karten generell:  Karten im Fußball – wann wurde sie eingeführt? 

Eine Statistik aus deutscher Perspektive über die Karten für Teamoffizielle im Männerfußball für die Saison 2019/20 und die Saison 2020/21.

 

Regel 12: DOGSO/Handspiel von Torhüter*innen

Where a player denies the opposing team a goal or an obvious goal-scoring opportunity by a handball offence, the player is sent off wherever the offence occurs (except a goalkeeper within their penalty area).

Eine Erklärung, die für viele allzu logisch ist, aber offenbar dennoch die Aufnahme in die Regeln erfordert: Wenn Torleute im eigenen Strafraum den Ball absichtlich mit der Hand berühren, ist kein Strafstoß fällig.

Die historische Entwicklung des erlaubten Handspiels der Torleute

  • [bis 1873: nicht in Regeln festgeschrieben]
  • 1873-1883: Ballberührung erlaubt, darf aber nicht getragen werden
  • 1883-1931: Ballberührung erlaubt und darf bis zu zwei Schritte getragen werden
  • 1931-2000: Ballberührung erlaubt und darf bis zu vier Schritte getragen werden
  • seit 2000: Ballberührung erlaubt und darf bis zu sechs Sekunden getragen werden (bekannt nicht wörtlich zu nehmen)

Und wo?

  • [vor 1882: nicht in Regeln festgeschrieben]
  • 1882-1903: in der eigenen Hälfte
  • 1903-1912: im eigenen Torraum
  • seit 1912: im eigenen Strafraum

 

Regel 12: Spielfortsetzungen nach Fouls

[Nach einer Spielunterbrechung, weil eine Spielerin oder ein Spieler ein Vergehen gegenüber Personen außerhalb des Spiels begang], play is restarted with a dropped ball unless a an indirect free kick is awarded for leaving the field of play without the referee‘s permission; the indirect free kick is taken from the point on the boundary line where the player left the field of play.

Zwar kann keine Spielstrafe ausgesprochen werden, wenn es um ein Vergehen an „outside agents“ geht, wohl aber für das Verlassen des Feldes ohne Erlaubnis.

Die historische Entwicklung des erlaubten Handspiels der Torleute

Es mag erstaunen, dass erst seit 1939 in den Fußballregeln steht, dass eine Spielerin oder ein Spieler nicht ohne Erlaubnis von Spieloffiziellen das Feld betreten oder verlassen darf. Das bedeutet nicht, dass es zuvor erlaubt war, sondern keiner schriftlichen Festlegung bedarf.

Das zeigen zahlreiche Artikel und Diskussionen in den deutschen Schiedsrichterzeitungen. Dort debattierte man beispielsweise 1929, ob in diesem Fall eine Verwarnung ausreicht oder direkt mit unerlaubten Verlassen des Feldes die Spielerlaubnis erlischt (= Feldverweis). Eine Einigung gab es nicht.

  • 1939, Laws of the Game: Das unerlaubte Verlassen des Feldes wird als unsportliches Verhalten („ungentlemanly conduct“) gewertet
  • 1943, Referees‘ Committee: Schiedsrichter*innen unterbrechen nicht das Spie für den Einlass, sondern der Spieler oder die Spielerin muss bis zur nächsten Spielunterbrechung warten[1]Jahreszahl ist mit gewisser Vorsicht zu genießen, da aus Stanley Rous: History of the Laws of the Game, S. 92 entnommen. Er irrt sich hin und wieder um ein paar Jahre.
  • 1953, Referees‘ Committee und ab 1956, Laws of the Game: Spieler*innen müssen an der Seitenlinie auf sich aufmerksam machen und erhalten von dem Schiedsrichter oder der Schiedsrichterin ein eindeutiges Zeichen zum Einlass. Das Spiel muss dafür nicht unterbrochen werden [2]Das Jahr 1953 ist mit gewisser Vorsicht zu genießen, da aus Stanley Rous: History of the Laws of the Game, S. 113 entnommen. Er irrt sich hin und wieder um ein paar Jahre.
  • 1968, Laws of the Game: Das unerlaubte Betreten und Verlassen des Spielfeldes wird mit einer Verwarnung bestraft

 

Regel 14: Position der Torleute beim Strafstoß

When the ball is kicked, the defending goalkeeper must have at least part of one foot touching, or in line, with, or behind, the goal line.

2019 wurde vorgeschrieben, dass Torhüterinnen und Torhüter künftig nur noch einen Fuß auf der Linie haben müssen, das aber streng kontrolliert wird. Nun muss ein Fuß nicht unbedingt auf der Linie sein, sondern kann sie auch dahinter, nicht aber davor befinden.

Die historische Entwicklung der Position der Torleute beim Strafstoß

  • 1891-1902: Alle dürfen sich auf 6 Yards (5,5 Meter) dem Ball näher. Hieß: Torhüter*innen durften bis zu 5,5 Meter aus dem Tor kommen
  • 1902-1929: Torhüter*innen befinden sich auf der Torlinie oder dahinter
  • 1929-1997: Torhüter*innen müssen auf der Torlinie stehen und sich keinen Schritt  bewegen
  • 1997-2019: Torhüter*innen müssen auf der Torlinie stehen, dürfen sich aber nach rechts und links bewegen.
  • 2019-2022: Torhüter*innen können sich weiterhin auf der Linie bewegen und müssen mit einem Fuß auf der Linie stehen
  • Seit 2022: Torhüter*innen können sich weiterhin auf der Linie bewegen und müssen mit einem Fuß auf oder hinter der Linie stehen

Und dann kam noch ein neues Thema auf: Kick-Ins – also Einschüsse oder Einkicks von der Seitenlinie – statt dem Einwurf.

Kick-In statt Einwurf

Die Irritation war groß: Oh Gott, wie kommt man denn auf solche neuen Ideen? Sind die denn verrückt?!

Dabei ist es doch nur back to the roots. 😉

Nein, der Kick-In ist nichts Neues, sondern eher die ursprüngliche Spielfortsetzung.

Es gab ihn in den Regeln von Harrow (1858) und Uppingham (1862). Beim Sheffield FC (1858-1867) hatte mal die Wahl zwischen Einwurf und Kick-In. Bei Sheffield FA (1867-1877) gab es wiederum nur den Kick-In.

Selbst die FA (London FA) diskutierte immer wieder, ihren Einwurf durch den Kick-In zu ersetzen. Bis 1877 gab aber immer ein knappe Mehrheit für den Einwurf, dann hatte man auch bei der FA die Wahl zwischen Einwurf und Kick-In.

1886 kam dann „unser“ Abseits durch die Zusammenlegung aller vier britischen Fußballregeln. Es war vormals in Schottland üblich. Doch Diskussionen blieben. Zwischen (mindestens) 1956 und 1999 wurde der Kick-In mehrfach getestet:

  • 1956: Partizan Belgrad v Crvena Zvezda Belgrad (1 Spiel)
  • 1979: Schottland und Wales
  • 1990er: England
  • 1992: Schweden & Finnland
  • 1993: UEFA Jugendturniere und FIFA World Youth Championships
  • 1994/95: u.a. Belgien, Japan, Ungarn, England
  • 1995-1999: Belgien

Ein Argument gegen den Kick-In, das für mich Gewicht hat: Es gibt mehr Kopfbälle und genau die versuchen ja mehr und mehr Verbände insbesondere im Jugendbereich zu vermeiden.

Mögliche Lösung: Die wiederholte Ballberührung erlauben, also ein „Ins-Feld-Dribbeln“.

Erste Ergebnisse des Concussion Protocols

Bereits seit Jahresbeginn 2021 wird das Experiment durch die Fußballverbände der Niederlande, England, Portugal und USA durchgeführt. Die FIFA testete es zudem während ihrer Klub-WM. Bei der AGM wird über die ersten Ergebnisse gesprochen werden.

Das Thema Kopfverletzungen im Fußball bleibt – Gott sei Dank – ein viel diskutiertes Thema.

In Großbritannien ist das Thema spätestens seit 2020 omnipräsent. Eine schottische Studie sieht das Problem nicht nur durch das „Kopf-an-Kopf-Schlagen“, sondern jegliche Wucht, die gegen den Kopf prallt – auch sehr häufiges Kopfballspiel.

Aufschlussreich fand ich zu diesem Thema die Reportage von WDR SportInside (Podcast), die ich hier empfehle. Es gibt auch einen 10-minütigen Kurzbeitrag bis 16. Januar 2023 in der ARD-Mediathek.

Wie versucht man nun, die Gesundheit der Spieler*innen zu schützen? Das beschreibt der IFAB auf seiner Homepage ausführlich.

Variante 1 („Protocol A“): Liegt der Verdacht auf eine Gehirnerschütterung vor, ist pro Mannschaft ein zusätzlicher Wechsel möglich, der nicht auf das ursprüngliche Wechselkontingent angerechnet wird.

Variante 2 („Protocol B“): Unter den genannten Umständen sind pro Mannschaft zwei zusätzliche Auswechslungen möglich. Jedes Mal bekommt dann das gegnerische Team ebenfalls einen weiteren Wechsel. Das soll mögliche sportliche Nachteile ausgleichen und einen Missbrauch der Regel unattraktiver machen.

Historische Entwicklung des Umgangs mit Kopfverletzungen

Es gab zuvor keine Diskussion im IFAB über Kopfverletzungen. Ein kurzer, historischer Rückblick auf die mutmaßliche Entstehung des Kopfballspiels bietet dieser Artikel: Concussions: Wie entstand das Kopfballspiel?

Abseits

Die historische Entwicklung des Abseits‘

Über die Geschichte der Abseitsregel habe ich schon häufig geschrieben – siehe nachfolgende Links. Ein ganz knapper Überblick: Abseits gab es schon immer, kein Abseits so gut wie nie. Die englischen public schools spielten mit der strikten Abseitsregel (jeder zwischen Ball und gegnerischem Tor ist aus dem Spiel) – außer in Eton. Hier war man erst abseits, wenn man zusätzlich weniger als drei Gegenspieler vor sich hatte („Dreier-Abseits“).

Die Londoner FA übernahm bei ihrer Gründung 1863 zunächst das strikte Abseits, um es dann 1866 auf das Dreier-Abseits zu ändern und damit das Kombinationsspiel in und um London zu ermöglichen. In Nordengland und Schottland war dagegen schon früh das Kombinationsspiel möglich, da ohne Abseits oder mit einem Zweier-Abseits gespielt wurde.

In den 1870er Jahren konnte die London FA ihren Einfluss auf England, 1886 auf Großbritannien ausbreiten (IFAB-Gründung). Die FIFA wurde 1913 Mitglied des IFAB und übernahm deren Regeln – so war das Dreier-Abseits für alle FIFA-Mitglieder bindend. 1925 wurde es zum Zweier-Abseits geändert und 1990 gab es noch eine Millimeter-Kosmetik („Gleiche Höhe“).

Noch mehr über die Geschichte des Abseits‘

VAR

Die historische Entwicklung des VAR

2015 wurde in der AGM des IFAB ein Test des niederländischen Verbandes KNVB vorgestellt, der uns allen bekannt vorkommt und in der Niederlande am 6. April 2011 gestartet war: Zusätzliche Schiedsrichterassistenten, die per Funk mit dem Schiedsrichter oder die Schiedsrichterin verbunden sind, auf Fernsehbilder zugreifen können und außerhalb des Stadions in einem Van sitzen. Michiel de Hoog, Sportjournalist in der niederländischen Zeitung Correspondent, veröffentlichte hierzu einen Longread, nachdem er Einblick in die Unterlagen des KNVB erhalten hatte[3]Michiel de Hoog: En de KNVB schiep de VAR en maakte het voetbal rechtvaardiger (maar het geheuer bleef). In: de Correspondent (09.04.2019).. Er ist zwar auf Niederländisch und lang, aber lesenswert für alle die es näher interessiert und mit einem tl;dr versehen. Es gibt ja mittlerweile Übersetzungsmaschinen, die vom Niederländischen Texte ins Deutsche übersetzen.

Nachdem das Projekt im AGM vorgestellt worden war, äußerten die Verbände, dass sie skeptisch blieben, aber gerne dieses Projekt fördern möchten. Einzig die FIFA mit Sprachrohr Joseph Blatter distanzierte sich von weiteren Schritten, erinnerte an die Aufgabe des IFAB als „Hüter des Spiels“ und bat, weitere Experimente mit Videounterstützung durchzuführen und die möglichen Vor- und Nachteile vollständig zu verstehen, bevor eine Entscheidung getroffen werden kann[4]„P[atrick] N[elson] informed the members of different discussions, ideas and proposals surrounding the use of video replay technology as a support for the referee.[…] He mentioned that the … Continue reading

Es war Blatters letztes AGM. 2016 saß bereits Gianni Infantino an seiner Stelle. Und u.a. in der Saison 2016/17 wurde die Offline-Testphase für den VAR in der 1. Bundesliga gestartet.

(Ausschnitt aus Es VAR einmal… Eine kurze Geschichte des Videobeweises)

SAOT

Die historische Entwicklung einer semi-automatisierten Abseitserkennung

Der spanische Arzt Francisco Belda Maruenda bewies, dass Schiedsrichter gar nicht genau die Sekunde der Ballabgabe erkennen können (Fichter, Ullrich: Was zu beweise war. In: Spiegel (06.03.2005). Ebenso: NN: Abseitsregel überfordert Schiris. In: Spiegel (17.12.2004).)

Von Ullrich Fichter wird es deshalb völlig übertrieben als „Reformator“ und als „Galilei des Weltfußballs“ bezeichnet. (Fichter, Ullrich: Was zu beweise war. In: Spiegel (06.03.2005).)

2004 überlegte man, wie man mit technischer Unterstützung die Abseitsentscheidung erleichern und automatisieren kann. Doch: „Uefa-Direktor Lars-Christer Olsson bremste im Bezug auf die Abseitsregel jedoch zu hohe Erwartungen: ‚Eine Kamera könnte feststellen, ob ein Ball über die Torlinie gerollt ist oder nicht. Die Technik bei jeder Abseitsentscheidung einzusetzen, würde mir allerdings Schwierigkeiten bereiten.‘.“ (NN: Abseitsregel überfordert Schiris. In: Spiegel (17.12.2004).)

Die SAOT wurde bislang beim Arab Cup 2021 und bei der FIFA Klub-WM 2022 getestet.

Zwei empfehlenswerte Threads auf Twitter zur SAOT

Fußnoten

Fußnoten
1 Jahreszahl ist mit gewisser Vorsicht zu genießen, da aus Stanley Rous: History of the Laws of the Game, S. 92 entnommen. Er irrt sich hin und wieder um ein paar Jahre.
2 Das Jahr 1953 ist mit gewisser Vorsicht zu genießen, da aus Stanley Rous: History of the Laws of the Game, S. 113 entnommen. Er irrt sich hin und wieder um ein paar Jahre.
3 Michiel de Hoog: En de KNVB schiep de VAR en maakte het voetbal rechtvaardiger (maar het geheuer bleef). In: de Correspondent (09.04.2019).
4 P[atrick] N[elson] informed the members of different discussions, ideas and proposals surrounding the use of video replay technology as a support for the referee.[…] He mentioned that the KNVB had conducted an (offline) experiment, using referee video assistance based on video footage provided by broadcasters’ cameras. He added that, during the experiment, the referee could have received additional information from a so-called video assistant (in a separate room / van) with access to camera footage and the ability to inform the referee instantly via a headset in crucial situations which appear difficult to be seen by the referee.[…] PN also mentioned briefly mentioned another approach presented at the 64th FIFA Congress in Sao Paulo in 2014, whereby a challenge system for team managers and coaches could be implemented, which would enable them to request a review of a referee’s decision.[…] The SFA and IFA stated that they were rather skeptical about video replays. However, after having seen the project conducted in the Netherlands, the SFA support further investigations by the panels to gather more recommendations. […] The FA stressed that video replays should only be allowed to help or support the referee. The debate should be around how the technology can be used to improve the game. The experiment from the KNVB should be encouraged and also continued by other parties in order to find strong arguments to form the basis for further recommendations. […] The FAW has been opposed to the introduction of technology in the past. However, in recent years technology has proven to be of great assistance to match officials (i.e. goal-line technology). But a major role of The IFAB is to protect the game and its universality. The FAW’s concerns related to the changing of the game, with a possible diminution of the referee’s authority as the video assistant takes on more influence. They felt this could result in ever-increasing pressure on the referee from the spectators, players, and coaches. Very careful consideration was needed, they said, because once you start down this direction, there is no way back. On behalf of FIFA, JB stated that The IFAB functions as guardian of the game and has in the past decided not to o any further with technology than goal-line technology.[…] Therefore, more experiments should be conducted with video assistance in order to understand its potential advantages and disadvantages fully before a decision can be taken.“, vgl. Protokoll des AGM des IFAB, 2015, S. 12-14 – Link.
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